Geschichte der Landesgruppe Österreich der Internationalen Strafrechtsgesellschaft (AIDP)

Die AIDP ist die größte und bedeutendste weltweit verbreitete wissenschaftliche Strafrechtsgesellschaft mit Beraterstatus bei der UNO und beim Europarat. Sie wurde vor 90 Jahren, am 28.3.1924 in Paris gegründet und ist die Nachfolgerin der Internationalen Kriminalistischen Vereinigung (IKV), die am 1.1.1889 von dem aus Wien stammenden berühmten Strafrechtslehrer und großen Reformer Franz von Liszt, dem Cousin des gleichnamigen Raidinger Komponisten und Sohn des ersten Generalprokurators Eduard von Liszt, gemeinsam mit seinen wissenschaftlichen Kollegen Gerhard Anton van Hamel (Amsterdam) und Adolphe Prins (Brüssel) gegründet worden war.

Die IKV war bis zum Ersten Weltkrieg die einzige internationale Strafrechtsgesellschaft von Weltdimension mit dem Ziel der Förderung des kriminalpolitischen Programms der damaligen modernen Schule, der neu entstandenen  Wissenschaft der Soziologie, gestützt auf das „Marburger Programm“, der weltberühmt gewordenen Antrittsvorlesung des Franz von Liszt im Jahre 1882 über den Zweckgedanken im Strafrecht mit für die damalige Zeit revolutionären Ideen von liberalen Reformvorschlägen, womit er die bis dahin rein dogmatische Strafrechtswissenschaft auf völlig neue Grundlagen stellte, so mit der konkreten Forderung nach Einführung der bedingten Verurteilung (in Österreich seit 1920), des Ersatzes der kurzzeitigen Freiheitsstrafen durch Geldstrafen (in Österreich seit der großen Strafrechtsreform 1974 mit dem am 1.1.1975 in Kraft getretenen StGB verwirklicht), der Schaffung eines besonderen Jugendstrafrechts und der Abschaffung der Todesstrafe (in Österreich seit 1968).

Diese Forderungen haben weltweite Verbreitung und Umsetzung in vielen Staaten Europas, aber etwa auch in Südamerika gefunden, wo es beispielsweise, wie auch in Portugal und Spanien, weder die Todesstrafe, noch die lebenslange Freiheitsstrafe gibt. Unterstützung fanden diese Bestrebungen durch das Zusammenwirken mit den damals neu entstandenen Disziplinen der Kriminalanthropologie, Kriminalsoziologie, Kriminalstatistik und Gerichtsmedizin. Liszt schuf auch gemeinsam mit Adolf Dochow im Jahre 1881 die „Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft“, in der Univ.–Prof. Dr. Reinhard Moos im 81. Band 1969 „Franz von Liszt als Österreicher“ ausführlich gedachte.

Die Landesgruppe Österreich der Internationalen Strafrechtsgesellschaft (mit der französischen Abkürzung AIDP für Association Internationale de Droit Pénal) wurde am 4.7.1974 in Wien gegründet und am XI. Internationalen Strafrechtskongress vom 9. bis 15.9.1974 in Budapest in die AIDP formell aufgenommen; sie ist auch im Conseil de Direction der AIDP in Paris vertreten. Schon bald nach ihrer Gründung hat sie sich zu einer – auch international anerkannten – an Mitgliedern stärksten und wissenschaftlich aktivsten der weltweit in Landesgruppen gegliederten AIDP entwickelt.

Die österreichische Landesgruppe ist ein unabhängiger gemeinnütziger wissenschaftlicher Verein, bei dem alle Personen Mitglieder werden können, die sich zu den Prinzipien und Zielen der AIDP bekennen, wie die Humanisierung und Harmonisierung des Strafrechts unter strikter Wahrung der Menschenrechte in der Strafrechtspflege durch enge internationale Zusammenarbeit und Förderung der wissenschaftlichen Erkenntnisse auf dem Gebiete der gesamten Strafrechtswissenschaft und Praxis in Ländern verschiedenster Rechtssysteme und Kulturkreise auf der Grundlage von Weltoffenheit und Gleichberechtigung. So kommen unsere Mitglieder nicht nur aus den verschiedensten juristischen Bereichen, sondern auch aus dem Gebiete der Medizin, Wirtschaft und Linguistik.

Die Landesgruppe Österreich hat seit 1974 an den 9 Internationalen Strafrechtskongressen der AIDP, die alle 5 Jahre in einem anderen Mitgliedsland abgehalten werden, sowie an den sogenannten Vorbereitenden Kolloquien (in 4 Fachsektionen gegliedert) durch schriftliche Landesberichte und persönliche Teilnahme mitgewirkt.

Unsere Landesgruppe hat auch zwei diese Kongresse vorbereitende Kolloquien in Wien veranstaltet und zwar vom 29.bis 31.3.1978 zum Thema „Schutz der Menschenrechte im Strafverfahren“ und vom 26. bis 28.9.2002 zum Thema „ Die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Jugendlichen im nationalen und internationalen Bereich“. Dieses Kolloquium war von besonderer Bedeutung, weil es sich auch mit der nachdrücklichen Forderung nach Abschaffung der Todesstrafe, jedenfalls aber für Jugendliche bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres befasste. Der in Wien verfasste Entwurf der dann am anschließenden Weltkongress in Peking beschlossenen Resolution sieht erstmals vor, dass die Todesstrafe niemals über einen Rechtsbrecher verhängt werden soll, der zur Tatzeit minderjährig war, wobei die strafrechtliche Volljährigkeit erst mit 18 Jahren beginnen soll. Darüber hinaus wurde der bedeutsame Satz von noch heute höchster Aktualität aufgenommen, dass die Todesstrafe als solche bereits ein ernstes Problem in Hinsicht auf die Menschenrechte darstellt. Diese Resolution bewirkte, dass die Todesstrafe für Jugendliche in der Volksrepublik China abgeschafft wurde.

Ein weiteres herausragendes Ereignis unserer Tätigkeit war der auf Einladung der österreichischen Bundesregierung und des Bürgermeisters der Stadt Wien von unserer Landesgruppe organisierte und klaglos durgeführte, überaus erfolgreiche XIV. Internationale Strafrechtskongress vom 1.10. bis 7.10.1989 in der Wiener Hofburg als Jubiläumskongress zum 100jährigen Bestand der AIDP und ihrer Vorgängerin der IKV. Erstmals in der österreichischen Postgeschichte wurde aus Anlass dieses historischen Kongresses über unsere Initiative eine einzigartige Sonderpostmarke mit dem Markenbild des Hauptportales des Justizpalastes in Wien und dem Aufdruck “XIV. ISK Wien, IKV 1889, AIDP 1989“ geschaffen und vom 2. bis 7.10.1989 in der Wiener Hofburg ein Sonderpostamt eingerichtet. In Verfolgung der geschilderten Ziele der AIDP hat unsere Landesgruppe bei ihrer wissenschaftlichen Arbeit stets die neuen Entwicklungen und den Wandel neuer Erscheinungsformen des Verbrechens, wie die Umwelt-und Computerkriminalität, den Terrorismus, Menschenhandel und die Korruption beachtet.

Themen zahlreicher Symposien, von jeweils hervorragenden Vertretern der Wissenschaft, Legistik und Praxis in Österreich, der Bundesrepublik Deutschland und dem UNODC behandelt, waren etwa „Neue Entwicklungen des internationalen Strafrechts“, „Internationale Strafgerichtshöfe und Menschenrechte“, „Europäischer Haftbefehl und Menschenrechte“, „Strafrechtliche Verantwortlichkeit von Verbänden“, „Cyber- Crime“, „Datenschutz- Patientenschutz mit Bezugnahme auf ELGA“, „Organisierte Kriminalität“, „Aufklärungspflicht und Arzthaftung –  rechtliche Probleme des Berufsalltags der Ärzte“, „Bilanzdelikte“ und „Wirtschaftskriminalität und Staatsanwaltschaft“ sowie „Korruption – Neue Entwicklungen zur ihrer Verhütung und Bekämpfung“ und „Arzneimittel – echt oder gefälscht“, „Bauwesen und Strafrecht“, „Justiz und Dolmetscher“ sowie „Whistleblowing – das Hinweisgebersystem im österreichischen Recht“.